Reframing (Minimierungsstrategie 3/9)

Verteufelst du noch oder rahmst du schon?


Stell dir vor ...

Du beim Kunden, inhouse. Eine Verkaufs- beziehungsweise Produktschulung steht an. Du sollst dein Gegenüber überzeugen. Entweder er kauft bei dir – oder woanders. Es steht viel auf dem Spiel, doch du bist gut vorbereitet: Du hast die passende Lösung für den passenden Kunden und dazu die passende Präsentation. Zumindest glaubst du das.

Doch dann kommt alles anders. Deine Story zieht nicht. Deine Argumente
greifen nicht. Dein Humor verpufft wie die Dieselwolke eines Schwertransporters. Unsicherheit kriecht dir den Rücken hoch und Angst macht sich breit in dir. Und als wäre das nicht schlimm genug, bemerkst du, dass dein Gegenüber schon wieder aus dem Fenster schaut. Dann auch mal zu dir, wie zufällig. Doch mit was für einem Blick? Völlig teilnahmslos. Dabei tippen seine Finger ungeduldig auf die Tischoberfläche. Obwohl kaum zu hören, zieht das Geräusch dir durch Mark und Bein.

Du bist überzeugt, dass dir hier gerade alles um die Ohren fliegt. Dein schönes Konstrukt, deine sorgfältige Vorbereitung – alles für die Katz. Du verfluchst dein Gegenüber wegen seiner Unhöflichkeit, bist zusätzlich vielleicht sauer auf dich selbst, weil du dich so schnell hast aus der Ruhe bringen lassen. Höchste Zeit, dem ganzen Geschehen einen neuen Rahmen zu verpassen!


Theoretisch heißt das …

Reframing (englisch für »einen neuen Rahmen geben«) erlaubt dir die zielgerichtete Umdeutung oder Neubewertung deiner Beobachtungen. Diese Strategie ermöglicht dir, in einer für dich unangenehmen Situation etwas Nützliches zu erkennen. Wichtig: Es geht nicht um Beschönigung, Autosuggestion oder Verleugnung von Tatsachen (vergleiche Unterscheidung Reframing versus Rationalisierung weiter unten). Bei Reframing geht es um die gezielte Bewusstmachung des zunächst verborgenen(!) Lernangebots. Auf den zweiten Blick stellst du nämlich fest, dass die Situation dich an etwas erinnert, das du noch nicht gelernt hast. Und genau das kannst du jetzt nachholen. Du hast drei Möglichkeiten, mit diesem in jeder Situation identifizierbaren Lernangebot umzugehen:

1. Ablehnung des Gegenübers: Der andere ist das Problem
Er ist der Bösewicht. Wenn er nur anders wäre, die Welt wäre schön. Zumindest hättest du dann kein Problem. Für dich gibt es nichts zu tun,
allein der andere muss sich ändern. Nennen wir dieses problemorientierte
Reaktionsmuster »statisch-verurteilend-destruktiv«.

2. Ablehnung deiner Selbst: Du bist das Problem
Du bist ein Schwächling. Wärest du nur in der Lage, dieses oder jenes zu
tun oder zu lassen, du hättest kein Problem. Für den anderen gibt es nichts zu tun, allein du musst dich ändern. Nennen wir dieses problemorientierte Reaktionsmuster auch »statisch-verurteilend-destruktiv«.

3. Begrüßung des Ärgernisses als Entwicklungsanreiz
Die (vorübergehende) Situation ist zwar auf den ersten Blick unschön,
aber nur auf den ersten. Auf den zweiten Blick stellst du fest: Dir fehlt
zurzeit noch(!) etwas, um mit diesem Ärgerangebot besser umzugehen. Die Situation erinnert dich daran, dass du eine Kompetenz noch nicht (vollumfänglich) entwickelt hast. Getreu dem Motto »Krise als Chance«
nennen wir dieses lösungsorientierte Reaktionsmuster »dynamisch-erlaubend-
konstruktiv«.


Praktisch heißt das -....

Reframing bedeutet, den beiden Ablehnungsversuchungen (1 + 2) zu widerstehen und dich mit Option 3 deinem Potenzial zur Persönlichkeitsentwicklung zuzuwenden. Die zentrale Frage lautet: »Was lerne ich gerade, was ich noch nicht wahrhaben will?« Im obigen Fallbeispiel winken folgende Lernchancen:

 

Anregung 1: Du warst zu statisch und fixiert bei deiner Präsentation

Demnächst wirst du dich variabler und flexibler verhalten und methodisch
statt einer hochriskanten Dominokette lieber Flusssteine wählen. Bei Domino braucht nur ein Stein zu fehlen, und alles gerät ins Stocken. Bei den Flusssteinen springst du einfach auf den Nächstgelegenen. Du musst sie
zuvor nur nah genug platziert haben.

 

Anregung 2: Du bist noch nicht flexibel genug, mit Nicht-Begeisterung umzugehen

Du bist aktuell hochgradig abhängig von wohlwollendem, wertschätzendem Feedback. Willst du bedürftig bleiben oder dich freischwimmen von der Resonanz anderer und ein Erwachsener, der mangelnde Begeisterung gut wegstecken kann? Rhetorische Frage. Es gelingt dir noch nicht, bei Bedarf Störungen bewusst auszublenden.

Entwickle dich weiter, bis du lernst, – wo nötig und sinnvoll – verbale,
stimmliche und körpersprachliche Rückmeldungen zu ignorieren. Oder willst du ein Spielball des Publikums bleiben? Noch eine rhetorische Frage.

Wir halten fest: Ohne Reframing würdest du in der obigen Situation sowohl dein Gegenüber als auch dich selbst verurteilen. Entweder wäre dein Gegenüber der Arsch, der sich danebenbenimmt. Oder du der Idiot, der sich nicht behaupten kann. Womöglich sogar beides: Ein Aufeinandertreffen von Arsch und Idiot. In dieser Betrachtung gibt es nur Übeltäter und keine Aussicht auf Besserung. Wie bedauerlich für Energie und Lebensqualität. Reframing erlaubt dir den Blick aus der Vogelperspektive. Das Verhalten des anderen ermöglicht dir zu erkennen, was du bisher nicht gelernt hast. Du drehst eine Ehrenrunde. Nicht weiter schlimm. Du bist kein Opfer, sondern ein in Entwicklung befindlicher Held. Und der andere wird vom Arsch zum Arschengel, zu einem hilfreichen Entwicklungshelfer.

 

Anregung 3: Was gilt es sonst noch zu beachten?

Nachsitzen versus Ehrenrunde: Schmollend zurück in die Schule oder dich mutig weiterentwickeln? Die Begegnung mit dem anderen ähnelt dem Nachsitzen in der Schule oder sogar dem Sitzenbleiben. Wer hat darauf schon Lust? Doch das Leben ist da gnadenlos: Es wird dir so lange die Lernangebote vor die Nase setzen, bis du sie aufgreifst und dich an die Arbeit machst. Allein du entscheidest, wie oft du nachsitzen wirst. Denn jetzt bist du erwachsen und hast die Wahl. Manche sitzen ihr Leben lang nach und merken es nicht und ärgern sich bis zum letzten Atemzug. Jeder kann wählen, ob er sich ein Leben lang über andere ärgern will oder sie als Lernanbieter betrachtet. Wofür entscheidest du dich? Wirst du dich weiterhin vom Ärger wegspülen lassen oder innehalten und dich fragen, was es in dieser Situation für dich zu lernen gibt?



Übeltäter versus Meister: Allein du etikettierst

Mach den Übeltäter zum Meister. Der dich darauf aufmerksam macht, was dein Leben zukünftig bereichern wird. Oder mach ihn zum unliebsamen Lehrer, der dir nur deshalb Schmerzen bereitet, weil er dich an etwas erinnert, das du nicht lernen willst. Nicht sein Verhalten verursacht dein Leid, sondern deine Verweigerungshaltung. Er ist lediglich der Auslöser. Sieh in deinem Gegenüber einen Meister, und dein anfänglicher Ärger wandelt sich in Dankbarkeit. Oder betrachte ihn weiterhin als Übeltäter, und kultiviere deinen ungünstigen Ärger. Du hast auch hier die Wahl.



Reframing versus Rationalisierung
Wie oben gesehen ist Reframing sinnvoll, wenn du mit seiner Hilfe die verborgene Lernchance identifizierst. Nicht sinnvoll ist Reframing hingegen, wenn du es zur Rationalisierung missbrauchst. Was heißt das?

Reframing und Rationalisierung sind zwar beides Strategien, um Ärger zu bewältigen, doch es gibt einen wesentlichen Unterschied: Während Reframing Aufbruch bedeutet, ist Rationalisierung Stillstand. Sie hilft dir, Dinge so umzudeuten, dass es dir (scheinbar) gut geht. Und du rechtfertigst damit zugleich, dass alles bleiben kann, wie es ist. Rationalisierung dient dir dann als bequeme Möglichkeit, der Wahrheit nicht ins Auge schauen zu müssen.

Typische Rationalisierungsgedanken lauten: »Ist nicht so tragisch, es gibt noch viel Schlimmeres!«, »Da kann ich nichts machen, er ist halt so!« oder auch »Ich kann verstehen, warum er sich so unhöflich verhält, denn …!«. In all diesen Fällen reduzierst du zwar deinen Ärger über die andere Person, aber du bleibst mit deiner Bewältigungsstrategie im Außen, statt deine eigene Weiterentwicklung voranzutreiben. Die Kunst besteht darin, die Lernchance mithilfe von Reframing zu erkennen – nicht sich abzulenken, um den Ärger durch Rationalisierung besser auszuhalten. Mach dir nichts vor, sondern schau hin und stell dich!


Du nimmst mit ...

Mit Reframing kannst du gekonnt der Opferrolle entkommen. Du kannst das Abwerten und Verurteilen deines Gegenübers zurücknehmen, indem du erkennst, dass er dir – ohne es zu wissen – einen großen Gefallen getan hat. Er hat dich daran erinnert, was dir noch fehlt und was du schon längst hättest lernen können. Dein Gegenüber ist kein Übeltäter, sondern ein Meister, der dich (manchmal schmerzhaft) daran erinnert, welchen Entwicklungsschritt du genau in diesem Moment nachholen kannst. Die folgende Tabelle zeigt noch einmal das Konzept,  die Leitfragen und ein Beispiel.




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